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Russlandsanktionen Generalbundesanwalt will mehr als 720 Millionen Euro an russischen Geldern einziehen

Bislang hat Deutschland das Vermögen russischer Unternehmen auf der EU-Sanktionsliste nur eingefroren. Weil eine Firma ihr Geld verschwinden lassen wollte, greift die Bundesanwaltschaft durch: Das Geld soll in die Staatskasse fließen. Das gab es noch nie.
Generalbundesanwalt Peter Frank (im Dezember 2022)

Generalbundesanwalt Peter Frank (im Dezember 2022)

Foto: Uli Deck / picture alliance / dpa

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Generalbundesanwalt Peter Frank will Hunderte Millionen Euro an russischen Geldern einziehen. Nach Informationen des SPIEGEL hat seine Behörde einen entsprechenden Antrag beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main eingereicht.

Demnach plant die Karlsruher Bundesanwaltschaft, mehr als 720 Millionen Euro an eingefrorenen Geldern der Staatskasse zuzuführen. Diese hatte eine Tochterfirma der Moskauer Börse bei der Deutschland-Tochter der US-Großbank J.P. Morgan geparkt.

Zum Vergleich: Die derzeit umstrittenen Kosten für Agrardiesel-Subventionen belaufen sich auf 450 Millionen jährlich.

Der Zugriff stellt eine neue Dimension bei der Durchsetzung internationaler Sanktionen gegen Russland dar. Bislang hat der deutsche Staat Gelder und Vermögenswerte sanktionierter Personen und Firmen nur eingefroren. Das heißt, Oligarchen und Konzerne dürfen über ihre Gelder, Jachten und Immobilien nicht mehr verfügen – bleiben aber Besitzer.

Probleme bei Durchsetzung von Sanktionen

Bislang taten sich deutsche Behörden aber schon mit dem Vorhaben schwer, russischem Geld überhaupt auf die Spur zu kommen. Zunächst flossen zu Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine 2022 mehr als die Hälfte der Vermögenswerte reicher Russen noch vor dem Beschluss erster Sanktionen aus der EU ins Ausland, wie die EU-Steuerbeobachtungsstelle ermittelte. Dann gab es offenbar keine adäquaten Gesetze, um den Russen ans Geld zu gehen, obwohl Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) öffentlich behauptet hatte, für den Zugriff sei alles »haarscharf vorbereitet« worden.

Zur Behebung der Schwierigkeiten wurde damals eine »Taskforce« unter der Leitung des ehemaligen Geheimdienstkoordinators im Bundeskanzleramt, Johannes Geismann, eingesetzt. Als Problem erweist sich allerdings bis heute, dass die Eigentümer von Villen, Jachten und Luxuskarossen sich hinter verschachtelten Firmenkonstruktionen verstecken. Das macht es schwierig, tatsächliche Eigentumsverhältnisse nachzuweisen. Die Gesamtsumme der eingefrorenen Vermögen gab die Bundesregierung im vergangenen Jahr mit knapp fünf Milliarden Euro an.

Sollte die Bundesanwaltschaft mit ihrem Antrag in Frankfurt am Main erfolgreich sein, würden die mehr als 700 Millionen Euro dem Bundeshaushalt zufließen. Das Geld wäre dort nicht zweckgebunden. In der Vergangenheit hatte es die Forderung gegeben, russische Gelder zu beschlagnahmen und für die Ukrainehilfe zu verwenden.

Konkret geht es in diesem Fall um Geld der NSD, der Wertpapierverwahrstelle der Moskauer Börse. Diese wurde im Juni 2022 durch die EU sanktioniert, ihr Vermögen eingefroren.

Tochter der Moskauer Börse wollte Geld abziehen

Just an dem Tag, an dem die Listung der NSD im Amtsblatt der Europäischen Union öffentlich gemacht wurde, sollen Verantwortliche der NSD nach SPIEGEL-Informationen versucht haben, ihr neunstelliges Guthaben in Sicherheit zu bringen: Bei J.P. Morgan ging ein Überweisungsauftrag ein, wonach die mehr als 720 Millionen auf ein Konto einer weiteren Tochter der Moskauer Börse, der National Clearing Corporation (NCC), bei der Commerzbank überwiesen werden sollten. Wegen des Sanktionsbeschlusses der EU führten die beiden beteiligten Banken den Transfer nicht aus.

Die Einziehung des Geldes als Tatmittel ist nach Ansicht der Karlsruher Ermittler dadurch möglich, dass der Überweisungsauftrag den Versuch darstelle, EU-Sanktionen zu umgehen. Da offenbar keine Hoffnung besteht, die Täter dingfest zu machen, könnte der Staat die Gelder per Gerichtsbeschluss einziehen. Ein solcher steht allerdings noch aus. Die NSD geht derzeit gegen ihre Listung durch die EU vor.